Könnten Flugzeuge mit viel weniger Treibstoff und Emissionen auskommen, wenn sie für deutlich geringere Geschwindigkeiten konstruiert würden?
Hintergrund meiner Frage: soweit ich die Physik verstehe ist die Gleitzahl, also das Auftrieb-Widerstands-Verhältnis, das wichtigste Maß für den Nutzenergieverbrauch eines Flugzeugs: Bei gegebenem Gewicht (also erforderlichem Auftrieb) bedeutet eine höhere Gleitzahl weniger Widerstandskraft und nachdem Kraft mal Weg gleich Arbeit ist würde es entsprechend weniger Energieverbrauch bedeuten.
Dass höhere Gleitzahlen für Verkehrsflugzeuge technisch möglich wären erscheint mir sehr wahrscheinlich: Laut Wikipedia (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Auftriebshilfe) haben schon konventionelle Flugzeuge mit halb ausgefahrenen Auftriebshilfen (Klappenstellung beim Start) wesentlich mehr Auftrieb, aber nur etwas mehr Widerstand als in Reiseflugstellung. Vermutlich könnten auch alternative Konzepte wie Blended-Wing-Body höhere Gleitzahlen erreichen, weil der klassische Rumpf wegfällt, der Widerstand, aber keinen Auftrieb liefert.
Wenn ich es richtig verstanden habe ginge eine höhere Gleitzahl aber nur in der Art, dass der Widerstandskoeffizient (=Widerstand eines gleich großen Flugzeugs bei gleicher Geschwindigkeit) gleich bleibt oder geringfügig größer wird, der Auftriebskoeffizient aber stark zunimmt. Nachdem Auftrieb und Widerstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit steigen hieße das, dass man z.B. bei doppelt so guter Gleitzahl ca. 30% langsamer fliegen müsste um den passenden Auftrieb zu bekommen und dabei für die gleiche Strecke mit gleich großem Flugzeug in gleicher Flughöhe nur halb so viel Energie zu brauchen.
Im Detail frage ich mich dazu folgendes:
– stimmt meine Überlegung grundsätzlich oder habe ich etwas übersehen?
– kann es sein, dass die bisher eingesetzten Triebwerke bei geringerer Geschwindigkeit ineffizient sind und die Rechnung daher nicht aufgeht? Müsste man dann die Triebwerke anpassen oder überhaupt auf einen anderen Triebwerkstyp umstellen (z.B. Propeller oder Turboprop statt Turbofan)?
– Könnte man mit den vorhandenen Flugzeugen durchgehens mit teilweise ausgefahrenen Auftriebshilfen fliegen oder müsste man die Konstruktion der Flügel anpassen?
– oder wäre das ganze ohnehin nur mit einem gänzlich neuen Flugzeugtyp umsetzbar?
Dass langsamer fliegen für Fluglinien und Fluggäste nicht unbedingt attraktiv ist, ist mir bewusst, mich interessiert zunächst was technisch und physikalisch möglich ist.
Selbstverständlich kann man Flugzeuge bauen, die ganz deutlich weniger Treibstoff verbrauchen. Und natürlich zu Lasten der Geschwindigkeit. Kein Akku-Flugzeug käme je auf die Idee, nahe der Schallgeschwindigkeit zu fliegen. Weil da Effizienz im Vordergrund steht. Genauso fährt kein E-Auto-Fahrer mit allen Tassen im Schrank 200 km/h oder mehr, weil er länger an Ladesäulen stehen müsste als am Lenkrad zu sitzen.
Aber die Anreizsysteme sind halt anders: Treibstoff für Flugzeuge ist steuerfrei, Kunden wollen schnell ankommen, Gehälter sind hoch.
Innerdeutsche Flüge wären komplett sinnlos, wenn die Bahn richtig ausgebaut würde und wirklich mit >300km/h unterwegs wäre. Dann wäre ich auf der längsten Strecke Hamburg-München in drei Stunden von Innenstadt zu Innenstadt. Das ist schneller als Fliegen.
Spannend zu lesen: https://en.wikipedia.org/wiki/Fuel_economy_in_aircraft – da sind schon bei den bestehenden Flugzeugtypen riesige Unterschiede im Verbrauch. Die ersten sind schon unter 2 Liter pro Passagier und 100km, andere noch eher bei 5 Liter. Es wurde schon bei den konventionellen Jets ein riesiges Optimierungspotential gehoben. Das sollte man vielleicht als erstes heben, bevor man sich über neue Flugzeugtypen Gedanken macht.
Der Härtetest sind rein solargetriebene Flugzeuge wir die Solar Impulse 2: https://en.wikipedia.org/wiki/Solar_Impulse
Die hat eine Reisegeschwindigkeit von 90 km/h, flog aber um die Welt. Mit der längsten Strecke Japan-Hawaii. Die ist maximal auf Effizienz getrimmt.
Nach vertiefter Recherche und sehr erfolgreicher Rückfrage bei einem Experten bin ich nun doch selbst auf Antworten gekommen: Ja, Flugzeuge von vornherein auf eine geringere Geschwindigkeit auszulegen würde tatsächlich erheblich Treibstoff sparen. Der Schlüssel dazu ist allerdings nicht, wie von mir ursprünglich vermutet, eine Flügelkonfiguration ähnlich wie mit halb ausgefahrenen Landeklappen. Entscheidend ist viel mehr eine Reduktion der Geschwindigkeit vom “transsonischen” zum “subsonischen” Bereich, die gerade statt gepfeilte Flügel und den Einsatz von Turboprop- statt Turbofantriebwerken ermöglicht. Eine Studie kommt hier bei 15% Geschwindigkeitsreduktion auf 21% weniger Verbrauch, wobei beim Vergleichsflugzeug mit konventioneller Geschwindigkeit auch bereits technologische Fortschritte unterstellt wurden. Eine andere Studie errechnet 36% Verbrauchseinsparung gegenüber Flugzeugen nach heutigem Stand der Technik bei 33% Geschwindigkeitsreduktion. Aufgrund geringerer Flughöhe ist die Reduktion an Treibhausgaswirkung noch größer – bis zu 60%.
Links zu den gefundenen Unterlagen:
https://drive.google.com/file/d/1AHme_5PLwQZliwaksKzahgU2GeOS6jei/view
https://elib.dlr.de/148094/1/Short-Range_Turboprop.pdf
https://www.fzt.haw-hamburg.de/pers/Scholz/Airport2030/Airport2030_PRE_FinalPresentation_Airbus_2014-06-05.pdf
Ich denke, dass es bei deinen Überlegungen an ein paar Stellen hapern könnte.
Die Gleitzahl, das stimmt, ist in der Fliegerei eine sehr wichtige Zahl. Jedoch eher für Notfälle in Passagiermaschinen oder generell für Segelflieger. Die Glei8tzahl, stellt die Wegstrecke pro verlorenen Höhenkilometer dar. Dabei darf keine Kraft ausser die Erdbeschleunigung auf das Flugzeug wirken. Selbst Gegenwind würde den Wert verbessern. So ist es selbstverständlich so, dass bei einer besseren Gleitzahl auch weniger Vortriebsenergie für selbe Strecke notwendig ist. Im Segelflieger wäre es geringeres Sinken, sprich auch weniger Pitch, oder bei Airlinern weniger Thrust.
Um nun die Gleitzahl zu verbessern ist heutzutage viel Notwendig. Moderne Flugzeuge sind bis zum Ende optimiert worden. Beispielsweise Winglets oder ein größeren Fanblade Durchmesser um den indizierten Widerstand zu verringern.
Um die Geschwindigkeit für gleiche Effizienz verringern zu können, muss der Auftrieb durch andere Faktoren erhöht werden.
Sehen wir uns mal die Auftriebsformel an:
L= C × A × (p × V² / 2)
L= Lift
C= Auftriebsbeiwert
A= Flügelfläche
p= Airpressure
V= TAS (True Airspeed)
Um L zu vergrößern muss beispielsweise auch der Auftriebsbeiwert vergrößert werden. Dieser hängt primär vom relativen Einstellwinkel ab. Dieser besagt die Lage der Profilsehne der Tragflächen zur Längsrumpfachse. Ist der Einstellwinkel größer, ist auch C größer… ABER, bei sowas fehlt es der Sicherheit. Je größer der Einstellwinkel desto geringer wird auch Vne, und zwar enorm. Der Manöverbereich verkleinert sich stark. Auch die dynamische Stabilität ist gefährdet. Erhöht man einfach den Anstellwinkel, also wie steil man fliegt, kommt man auch gefährlich nahe zum Stall.
Die Flügelfläche kann man nicht einfach erhöhen. Das geht dann zu leiden der Stabilität des ganzen. Größere Tragflügel, größeres Gewicht.
Der Luftdruck ist durch die hohen Flughöhen schon fast an der Obergrenze. Größere Druckhöhen, würden auch wieder neue Drucksysteme im Flugzeug bedeuten, mehr Gewicht.
Der einzige Faktor der nicht auf Kosten der Sicherheit läuft ist die Geschwindigkeit. Langsamer geht also kaum.
Auch das Ausfahren der Flaps und Slats ist zu den Punkten Flügelfläche und Auftriebsbeiwert zu zählen.
Fährt man die Flaps beispielsweise aus, ist ein deutlich größerer Induzierte Widerstand vorhanden. Auch der Manöverbereich verliert an Größe. Nun hat der Pilot einen kleinen Spielraum was Notfallmanöver angeht. Auch verliert das Flugzeug zunehmend an dynamischer Stabilität und wird zusehens indifferent.
Um den Verbrauch von Treibstoff zu sparen gibt es deutlich bessere Metohoden. Beispielsweise den Durchmesser des Turbofan Mantelstroms zu vergrößern oder die heißen Gase wieder in das Triebwerk einzuführen.
LG
Das stimmt grundsätzlich, aber in großer Flughöhe ist die Luft so ‘dünn’, dass das keinen so großen Effekt haben dürfte. Außerdem könnte man dort oben die Jetstreams nutzen und so Treibstoff sparen.
Die Gleitzahl ist in dünner und dichter Luft gleichermaßen aussagekräftig, weil sowohl Widerstand, als auch Auftrieb bei dünnerer Luft kleiner werden. Damit das Flugzeug trotz der dünnen Luft oben bleibt muss es also schneller fliegen um weiterhin genug Auftrieb zu haben, dadurch hat es aber auch wieder gleich viel Widerstand wie bei geringerer Geschwindigkeit und dichterer Luft.
Würde man durch eine günstigere Konstruktion die Gleitzahl verbessern (höherer Auftriebskoeffizient bei etwa gleichem Widerstandskoeffizient), dann müsste das auch nicht bedeuten, dass man fiefer fliegen müsste, sondern langsamer, aber in gleicher Höhe oder sogar etwas höher.
Die Überlegung klingt sinnvoll.
Man müsste das Flugzeug so bauen, dass es mehr Auftrieb bei geringererer Geschwindigkeit erreicht. Das hätte dann aber den Effekt dass es mehr “gegenwind” bekommt, also der Verbrauch wieder steigt.
Fluggesellschaften sind schon lange wirtschftlich denkende Unternehmen. Keine Werft der Welt kann mehr ein Flugzeug verkaufen, ohne einen günstigen Verbrauch anzupreisen. und entgegen der dummen, deutschen Autokäufer schauen Fluggesellschaften ganz genau hin, was ihre Geräte so verbrauchen, statt ihre Nachbarn zu belügen und denen zu erzählen, dass ihre neue E Klasse, angegeben mit 4,7 Litern auf 100 km nur 4,2 Liter braucht.
Bei einer Verbesserung des Auftrieb-Widerstands-Verhältnisses würde der Verbrauch sinken, denn der Auftrieb bleibt ja gleich (muss sich mit dem Gewicht des Flugzeugs die Waage halten), der Widerstand sinkt aber.
Natürlich optimieren sich Fluglinien wirtschaftlich. Da stehen Treibstoffkosten auf der einen Seite und auf der anderen Seite verschiedene zeitabhängige Kosten: Arbeitsstunden des Personals zum Beispiel, aber auch dass man mit einem Flugzeug mehr Flüge pro Tag durchführen kann, wenn jeder einzelne Flug kürzer dauert. Kerosin wird bisher überhaupt nicht besteuert, ganz im Gegensatz zum Autotreibstoff, der ja viel höher besteuert wird als vergleichbare Energieträger wie Heizöl. Es ist also logisch, dass sich Treibstoffsparen für Fluglinien derzeit weniger lohnt als für Autofahrer:innen. Umgekehrt wäre es sehr naheliegend, dass ernsthafte Klimaschutzauflagen für die Luftfahrt (z.B. verpflichtender Ausstieg aus fossilem Kerosin) dazu führen würden, dass man eine geringere Fluggeschwindigkeit in Kauf nehmen würde, wenn im Gegenzug dazu der Verbrauch massiv sinken würde. Daher erscheint mir das Argument “wenn das ginge würde es schon längst gemacht” hier nicht plausibel.