Kann jemand etwas mit dem Begriff “ionffergyn” anfangen?
Hey Leute,
ich bin vorhin auf eine verschollene oder verlorene Quelle gestoßen, über die es nur aus zweiter Hand Informationen gibt, und zwar im “Anzeiger für die Kunde des deutschen Mittelalters” von 1833.
Die Quelle selbst stammt aus der Frühzeit der Reformation. Es handelt sich um einen Liedtext, dessen erste Strophe im Anzeiger folgendermaßen transkribiert wird:
“Jch weyß myr eyn suuerlich ionffergyn
All in des hemels tronen rich
Och got mocht ich yr diener syn
Gar trawlich sold sy myrs loenen.”
Da das Original nicht mehr vorliegt, ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass beim Druck oder bei der Transkription ein Fehler passiert ist. Auch ein dialektaler Begriff ist nicht ausgeschlossen – es finden sich in der letzten, ebenfalls übertragenen Strophe ein paar Hinweise auf eine niederdeutsche oder mitteldeutsche Zuordnung. Mit dem Begriff “ionffergyn” kann ich jedenfalls nichts anfangen. Ich finde auch sonst nirgends etwas dazu. Chatgpt übersetzt ihn ohne Probleme als “Zuflucht”, was Sinn ergibt, aber die Herleitung ist Schwachsinn und ich finde auch keinen annähernd vergleichbaren Begriff, der diese Übersetzung rechtfertigt.
Aber vielleicht entdeckt ja jemand einen Wortstamm in diesem Ausdruck, den ich übersehen habe!
Danke im Voraus.
LG, Jo
ionffergyn = ion-ffer-gyn = Jung-fer-chen.
Damals gab es noch keinen Duden.
Ich tippe auf schlesischen Dialekt.
Ich glaube, daß hier von einer Frau die Rede ist. Immerhin möchte der Sprecher ja ihr Diener sein, und hofft, daß sie es ihm traulich (=gemütlich) lohnt (er will also an den Honig).
Vielleicht soll man das Wort als „Jungferlein“ interpretieren?
Ich habe auch Jungfrau oder Jungfer vermutet.
Ich hätte allerdings erwartet, daß da im Mittelhochdeutschen ein g oder c im Wort vorkommen müßte. Vielleicht ist das eine Dialektsache.
Die moderne holländische Form juffrouw zeigt auch starke Reduktion am Ende der ersten Silbe.
Ja, genau, das nennt man Diminutiv. Die Diminutivendung -ken oder -gen ist in westdeutschen Dialekten üblich, wobei ich tendenziell das -gen eher in eine rheinländische Richtung schieben würde, das -ken in eine westfälische oder norddeutsche (das ist allerdings eine gefühlsmäßige Sache und könnte völliger Blödsinn sein). Soweit ich weiß, ist in der frühen Neuzeit aber -gen auch der Vorgänger von -chen gewesen, das heißt, es war auch eine hochsprachliche Version. Zumindest habe ich noch nie ein Wort mit chen gefunden, aber geregelt auch in hochsprachlichen Liedern -gen.
Könnte diese Endung -gyn vielleicht eine Variante von -chen sein (holl. -ken)?
Ich konnte den Dialekt leider nicht genau verorten. Wenn das -gyn eine Diminutivendung ist, würde ich allerdings stark davon ausgehen, dass wir uns tatsächlich in Westdeutschland befinden – so ganz grob.
Die letzte ebenfalls übertragene Strophe ist ganz aufschlussreich:
“Die vns dit neuwe liedtlyn sanck
Hie hauet wail gesongen
Hie hoert so gern der orgel klanck
Got schende all lutherische tzongen”
Ich kenne diesen Dialekt nicht, aber die Parallelen zum Niedrländischen sind bemerkenswert. “Hie” ist hier tatsächlich “er”. Kurios ist allerdings das “liedtlyn”, weil hier eine andere Diminutivendung verwendet wird als bei der Jungfrau.
Hallo JoAugust!
Das Wort ionffergyn erinnert mich an das boichelgyn, vermutlich ein Büchlein ( https://kups.ub.uni-koeln.de/1234/1/schmitz.pdf ), also analog ein Jungferlein.
LG
gufrastella