Warum gibt es kaum bekannte italienische Orgelmusik der Romantik?
An alle Freunde der Orgelmusik: Wenn man viel in Orgelkonzerte geht, stößt man beim Zeitalter der Romantik ja auf sehr viele eindrucksvolle Werke französischer (z.B.Guilmant, Widor, Vierne), englischer (z.B. Stanford, Elgar, Vaughan-Wiliams) oder deutscher Komponisten (z.B. Mendelssohn-Bartholdy, Brahms, Reger).
Woran könnte es wohl liegen, dass man seltenst in Orgelkonzerten Werke der italienischen Romantik zu Gehör bekommt, wo doch zum einen die italienische Romantik wahrlich Schwergewichte hervorgebracht hat (z.B. Rossini, Verdi, Donizetti) und zum anderen diese auch viel Kirchenmusik geschrieben haben?
Warum spielte die Orgel in der italienischen Musik dieser Zeit so eine geringe Rolle und ist auch heute kaum bekannt?
Ich glaube, man muss wirklich ein sehr großer Liebhaber und selbst unter Verdi-Kennern ein Sonderling sein, um schon mal eins seiner Orgelwerke gehört zu haben.
Verdi hat zwar seine musikalische Laufbahn bereits in seiner Schulzeit als Organist begonnen, aber dann hat er sich von der Kirche weitgehend abgewandt und außer einigen Kantaten und einem Requiem keine geistlichen Werke mehr geschrieben. Das hängt auch mit seiner politischen Einstellung zusammen. Als Nationalist war Verdi antikirchlich eingestellt, zumal der Kirchenstaat damals noch der Einigung Italiens im Wege stand. Dies trifft auch auf die meisten anderen Komponisten der Romantik in Italien zu.
Danke! Na immerhin war Verdi beim Verfassen des Requiems nicht mehr der jüngste und beim Verfassen des Stabat Mater war er über 80, es gilt sogar als sein letztes Werk.
Weißt du zu der Frage auch hinsichtlich der italienischen Romantik über Verdi hinaus etwas? Wo ich drüber nachdenke, sind mir in den großartigen italienischen Kirchen, die ich so im Laufe der Zeit besucht habe, nie so richtig beeindruckende Orgeln aufgefallen wie in Frankreich, ob nun in St. Sulpice oder Notre Dame in Paris, oder in der Kathedrale von Chartres oder wo immer man sonst hinkommt. Ich könnte noch nicht mal sagen, ob in einer so riesigen und großartigen Kirche wie Santa Croce in Florenz zum Beispiel überhaupt eine Orgel steht. In Erinnerung ist mir keine geblieben.
Mich wundert, dass ein schon so lange so extrem laizistisches Land wie Frankreich (und das war es ja zur Zeit der musikalischen Romantik auch schon) so viel mehr großartige Orgelmusik hervorgebracht hat als das durch und durch katholische Italien.
Wenn man sich die italienische Orgellandschaft anschaut, dann fällt sofort auf, dass es in dem früher zu Österreich gehörenden deutsch- und ladinischsprachigen Gebiete Südtirol sowie im furlanisch- und slowenischsprachigen Teil von Friaul-Julisch Venetien eine außerordentliche Dichte von Orgeln gibt, während die italienischsprachigen Gebiete Italiens beinahe orgellos sind.
Ich kann nur Vermutungen anstellen, und zwar dürften die strengen liturgischen Vorschriften der katholischen Kirche in Italien indirekt den Orgelbau beeinflusst haben. Die Kirche wollte die Orgel nur als Begleitinstrument für den Kirchengesang, weshalb der Orgelbau sich in Italien ab der Barockzeit viel weniger entwickelte als z. B. in Deutschland, wo in den evangelischen Kirchen großer Wert auf Orgelmusik gelegt wurde, was sich dann auf den gesamten deutschen Sprachraum, auch auf den katholischen, ausbreitete. Mit nur einem Manual und wenigen Registern blieben die italienischen Orgeln auch in der Romantik, wo sie sich andernorts zu einem wahren Orchesterersatz entwickelten, relativ bescheiden. Damit entfiel auch der Anreiz für die Komponisten, sich der Orgelmusik zu widmen. Ich bin aber kein Fachmann auf diesem Gebiet.
Hast du eine Ahnung, was dafür die Gründe sein könnten? Wieso in einem Land mit einer dermaßen ausgeprägten Musiktradition mindestens seit dem 15.Jahrhundert dieses Instrument auf so wenig Interesse stieß?